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Offener Brief an unseren Ministerpräsidenten wegen Corona-Regelungen

30. 06. 2020

Offener Brief an den Ministerpräsidenten Weil des Landes Niedersachsen:

Sport mit bis zu 10 Personen im öffentlichen Raum:

Die FAQ der Landesregierung an die geltende VO anpassen! Neue Verordnung besser gestalten!

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil,

 

der Landes-Kanu-Verband Niedersachsen e.V. und seine Mitglieder nehmen die aktuelle Pandemie sehr ernst. Wir haben bereits zu Zeiten, wo entsprechende Verordnungen dies noch gar vorschrieben, Veranstaltungen abgesagt bzw. auf Online-Formen umgestellt. Wir haben die drastischen Einschränkungen des gesamten öffentlichen Lebens für unseren Bereich konstruktiv begleitet und mit entsprechenden Sportart-spezifischen Regeln umgesetzt. Und wir sind froh, dass wir damit unseren Beitrag leisten konnten, auch in Niedersachsen ein extrem niedriges Infektionsniveau zu erreichen.

 

Ich wende mich nun aber direkt an Sie, weil im Gegensatz zum Vorgehen in anderen Bundesländern der Sport in Niedersachsen im weiteren Verlauf jetzt überaus restriktiv geregelt wird und seit dem 19.06.2020 sogar versucht wird, den Sport in Niedersachsen wieder weiter gegenüber der zuvor geltenden Regelung einzuschränken. Eine angemessene Abwägung der Lage ist dabei nicht erkennbar, stereotyp wird auf eine erhöhte Aerosolbildung beim Sport verwiesen, ohne jeglichen Abgleich des Risikos. Dass Sport in sehr unterschiedlichen Formen betrieben wird, und vor allem im Freizeitsport und damit im überwiegenden Teil der Jugendarbeit der (Kanu-) Sportvereine eine erhöhte Aereosolbildung wohl kaum zu erwarten ist, wird erst gar nicht diskutiert. Und dass der Sportbetrieb in Booten mit festem Abstand (aber unter 2m) an frischer Luft mit Fahrtwind und dazu noch in abgegrenzten, eindeutig verfolgbaren Vereinsgruppen auch vom Risiko her als so viel gefährlicher eingestuft wird als die erlaubten 10-er Gruppen in einem Park mit Alkohol und Grillen – ohne eine Vorgabe überhaupt eines Abstandes zwischen diesen Personen - , ist schlicht nicht vermittelbar. Ohne dass dafür eine wirkliche Begründung vorliegt, macht das Gesundheitsministeruium aus Anlass der Verordnung vom 19.06.2020 eine 180°-Kehrtwende in seiner eigenen Argumentation und versucht, die bis dahin auch von ihm vertretene Position, dass die Regeln des öffentlichen Raumes auch im Sport außerhalb der Sportanlagen gelten, außer Kraft zu setzen und durch einseitige Beschränkungen des Sports zu ersetzen. Und dass, ohne dass dafür in der Verordnung irgendwo eine entsprechende Vorgabe am 19.06.2020 eingefügt worden wäre!

 

Aus unserer Sicht liegt weder eine fachliche noch eine rechtliche Begründung für die Position vor, die nun über die FAQ der Landesregierung verbreitet wird. Dafür fehlt uns Sportlern schlicht das Verständnis – und das gilt auch für andere Bootssportler wie Ruderer und Segler.

 

Wir möchten Sie persönlich bitten dafür zu sorgen, dass die in der Verordnung vom 22.06.2020 gegebenen Möglichkeiten für den Sport im öffentlichen Raum nicht weiter über FAQ-Aussagen negiert werden. Es geht konkret um die Regelung in der VO §2 (2) Satz 2, nach der die Abstandsregel im öffentlichen Raum (> 1,5m allgemein, > 2m im Sport) nicht für Gruppen bis zu 10 Personen gilt.

 

Die einschränkende Ausführung in den FAQ
(siehe https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/antworten_auf_haufig_gestellte_fragen_faq/antworten-auf-haufig-gestellte-fragen-rund-ums-sporttreiben-188025.html)

Wo darf ich Sport treiben?

Erlaubt ist zum einen die körperliche und sportliche Betätigung im Freien, also auch auf Wegen und Wiesen in Parks und auf Bürgersteigen. Hier gilt: Möglichst alleine, mit den Personen aus dem gleichen Hausstand oder auch in Sport- oder Trainingsgruppen, wenn diese von einer Trainerin oder einem Trainer angeleitet werden. Immer muss jedoch ein Mindestabstand von zwei Metern zu Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören, eingehalten werden. Die Regelung zu 10-Personen-Gruppen (ohne Abstand untereinander) gilt auf Grund des erhöhten Aerosolausstoßes bei der Sportausübung nicht.“

 

ist in der Verordnung vom 19.06./25.06.2020 nicht enthalten.

 

Im Einzelnen:

 

Bis zum 22.06.2020 war es das gemeinsame Verständnis des Sports und der Behörden in Niedersachsen, dass für den Sport im öffentlichen Raum die Regeln des öffentlichen Raums gelten.

 

Noch am 16.06.2020 hat das Gesundheitsministerium schriftlich bestätigt und klargestellt, dass im öffentlichen Raum die zum damaligen Zeitpunkt bestehende Regelung, dass Personen aus zwei Haushalten sich ohne den sonst vorgeschriebenen Mindestabstand aufhalten dürfen, auch für die Sportausübung im öffentlichen Raum gilt. Explizit also Sportler aus zwei verschiedenen Haushalten im selben Boot sitzen dürfen, auch wenn dabei der Abstand von 2m nicht eingehalten werden kann.

 

Am 22.06.2020 trat die Lockerung in Kraft, dass neben Personen aus zwei Hauhalten auch Gruppen bis 10 Personen von dem Abstandsgebot im öffentlichen Raum ausgenommen wurde. Ansonsten erfuhr die Verordnung keine für diese Frage sich auswirkende Änderung. Somit informierten wir unsere Mitglieder per Rundschreiben und auch auf unserer Internet-Seite, dass der Sport in Mannschaftsbooten nun auch in Niedersachsen wieder ohne Einhaltung der 2m Abstandsregel erlaubt ist, wenn die Gruppe insgesamt nicht mehr als 10 Teilnehmer hat – so wie es die Verordnung für den öffentlichen Raum vorgibt.

 

Wir sind jedoch dann völlig im negativen Sinne überrascht worden, dass das Gesundheits-ministerium mit der Vorlage der neuen Verordnung abweichend von seiner eigenen früheren Position nun plötzlich aussagt und versucht durchzusetzen, dass die Regelung für den öffentlichen Raum für den Sport nicht mehr gelten würde und grundsätzlich der 2m-Abstand zwischen den Personen verschiedener Haushalte einzuhalten sei. Zuvor bereits zugelassene Fahrten in Booten mit 2 Sitzplätzen dürften demnach plötzlich nicht mehr wie zuvor von Personen aus 2 Haushalten ausgeführt werden – und erst recht nicht Fahrten in größeren Mannschaftsbooten bis 10 Personen, die nach dem neuen Stand der Verordnung wieder erlaubt sind.

 

Eine Herleitung dieser Verschärfung der Regeln aus der Verordnung ist für uns nicht ersichtlich.

 

Die zur Begründung herangezogenen verallgemeinernden Aussagen, dass der Sport grundsätzlich zu erhöhten Aerosol-Ausstössen führen würde, sind u.E. schon in weiten Bereichen des Sportes, insbesondere im Freizeitsport, nicht zutreffend. Mehrstündige Kanuwanderungen in Mannschaftsbooten führen zwar zu einer entsprechenden (gewollten und gesunden!) Dauerbelastung des Körpers, aber kaum zu einem verstärkten Atmen. Damit werden jetzt aber gerade die für die Jugendarbeit und im Breitensport wichtigen Tätigkeiten ausgegrenzt – ja, ein Betreuer darf noch nicht einmal einen jugendlichen Anfänger aus einem anderen Haushalt mit in sein Boot nehmen und mit dem Jugendlichen die ersten Erfahrungen in dieser Natursportart sammeln lassen. Das war vor dem 22.06.2020 ausdrücklich erlaubt! Insbesondere die Angebote des Sports an Jugendliche werden mit dieser Verschärfung wieder schmerzlich und spürbar eingeschränkt.

 

Die Begründung zieht auch insofern nicht, weil das Risiko einer Ansteckung bei 10-Personen-Gruppen ohne Abstand untereinander – was im öffentlichen Raum explizit erlaubt wurde - mindestens so groß ist wie das Risiko, sich bei Benutzung von Mannschaftsbooten mit festem Abstand an frischer Luft zu bewegen, wobei Aerosole durch den Fahrtwind sehr schnell verdünnt und verteilt werden und das nicht mit der Situation einer sich nicht bewegenden Gruppe verglichen werden kann.

 

Wir wehren uns dagegen, dass über eine in der Verordnung nicht enthaltene Aussage in den FAQ weitergehende Einschränkungen erlassen werden, und wir wehren uns dagegen, dass mit nicht zutreffenden Argumenten pauschal die Sportausübung als risikoreicher dargestellt wird.

 

Mit einer solchen Vorgehensweise wird die Zustimmung der Sportler und die Einsicht, dass es sich in der Verordnung insgesamt um sinnvolle Regelungen handelt, massiv beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass unser Nachbarland NRW bereits seit Ende Mai die 10-er Gruppen im Sport erlaubt hatte und aufgrund positiver Erfahrungen weitere Lockerungen in Angriff nimmt, dem Beispiel sind andere Länder längst gefolgt. Unsere Sportler fragen also, warum etwas in Niedersachsen mit Zeitverzug zwar in die Verordnung aufgenommen wird, was sich in NRW längst bewährt hat, aber dann über Erklärungen in den FAQ die Sportler in Niedersachsen massiv verunsichert werden, ob sie die in der Verordnung zugestandenen Lockerungen auch umsetzen dürfen.

 

Der Vereins-Sport hat viele weitere Vorteile, u.a. angeleitete Sportausübung und das in Gruppen, die sich kennen, deren Teilnehmer nachvollziehbar sind. Wenn denn trotz der extrem niedrigen Neuinfektionen in einer Sportlergruppe ein Fall auftreten sollte, ist die Nachvollziehbarkeit und Eingrenzung der Kontaktpersonen aus dem Sport wesentlich besser möglich, als bei im öffentlichen Raum spontan gebildeten Personengruppen von bis zu 10 Personen bilden ohne jedes Abstandsgebot – und wo man die anderen Teilnehmer vielleicht gar nicht kennt. Es gibt daher sehr gute Gründe, solche Lockerungen eher im (Vereins-) Sport als ganz allgemein einzuführen. Es gibt wohl kaum Gründe, bei der Sportausübung im Freien danach zu unterscheiden, ob sie auf einer Sportanlage oder außerhalb einer Sportanlage im öffentlichen Raum stattfindet. Auch dass die Abstandsregeln im Freien davon abhängen, ob man sich im öffentlichen Raum oder auf einem Vereinsgelände befindet, ist keineswegs nachvollziehbar. Muss das Grillen in einer kleinen Jugendgruppe eines Vereins wirklich strenger reglementiert werden, wenn es auf dem Vereinsgelände stattfindet? Soll der Verein auf Parks ausweichen??

 

Es ist auch keine Lösung, dass immer mehr Trainingslager und Wettkämpfe nach NRW und in andere Bundesländer verlegt werden, nur weil Niedersachsen bei der Sportausübung jetzt sogar den Rückwärtsgang einlegt.

 

Es ist daher dringend geboten, den Spielraum der jetzigen Verordnung dem Sport in Niedersachsen nicht weiter vorzuenthalten, die FAQ also umgehend zu korrigieren, und in der nächsten Version der Verordnung die Möglichkeiten für den Sport weiter auszubauen und interpretationssicherer zu gestalten. Insbesondere sollten auch die nicht erklärbaren Unterschiede in der Regelung der Sportausübung im Freien – je nachdem ob es auf/in einer Sportanlage oder im öffentlichen Raum stattfindet – entfallen. Damit gewinnen Sie dann auch wieder die Sportler als überzeugte Unterstützer und Umsetzer der Regeln, und damit gewinnen wir auch die Möglichkeit, auch im Bereich der Jugendarbeit für die bevorstehenden Schulferien vielleicht doch noch etwas auf die Beine zu stellen.

 

Ich setze darauf, dass das Land Niedersachsen im positiven Sinne ein Land des Sports bleibt und mit dem Sport weiter gemeinsam an der Bewältigung der Corona-Krise inkl. der immer offensichtlicher werdenden Folgewirkungen arbeitet. Auch dafür bietet der Sport beste Voraussetzungen, gerade dafür brauchen wir das Engagement der unzähligen Ehrenamtlichen auch in den Sportvereinen.

 

Und dafür brauchen wir FAQ, die die Verordnungen widerspiegeln, und klar formulierte Verordnungen, die dem Sport die möglichen Freiräume bieten, die einen verantwortungsvollen Umgang mit der Corona-Pandemie erlauben!

 

Mit freundlichen Grüßen


Albert Emmerich

 

- Präsident -